„Dreh dich nicht um“ – Tourblog #8

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Wie aufregend eine Tour von Äthiopien nach Kenia sein kann lest ihr im bis jetzt wohl dramatischsten Tourblog…

Vollkommen ausgetrocknet und erschöpft stehen wir vor einem neongrün beworbenen Geldautomaten in Lodwar, der ersten großen Stadt im Norden Kenias. Als das laute Knattern der Maschine erklingt und Basti endlich das ersehnte Bündel Geldscheine aus dem kleinen grauen Schlitz zieht, fällt die gesamte Anspannung der letzen Tage von allen Beteiligten ab. Was für ein Trip!

Nach unserer Reifenpanne und dem enttäuschenden Besuch bei den Mursi schien uns das Glück nun endgültig verlassen zu haben. Bereits bei unserer Rückkehr müssen wir uns auf die Suche nach Benzin machen, der an der örtlichen Tankstelle nicht mehr vorhanden war. Mit etwas Glück wurden wir auf dem städtischen „Schwarzmarkt“ fündig und konnten zu überzogenen Konditionen das ersehnte gelb-grüne Autogold erwerben.

Unsere Freude über den Kauf war jedoch nicht von langer Dauer und so rollen wir genau einen Meter weit bis uns unser Auto den Dienst quittiert. Mit Muskelkraft und gutem Willen schieben Chris und Lisa den flügellahmen Falken über die staubige Hauptstraße von Jinka. Trotz der weisen Ratschläge unseres arbeitsunwilligen äthiopischen Freundes Mafi und der beherzten Startversuche von Basti will uns der Start nicht gelingen. Niemand von uns wusste, was das Problem sein könnte. So rollen wir mit letzter Kraft, vorbei an einer amüsiert schauenden Passantengruppe und sprichwörtlich auf dem letzten Tropfen, in eine Werkstatt ein. Keine 10 Minuten später ist der Fehler gefunden und eine Horde wild gestikulierender und unter Körpereinsatz streitender Mechaniker dabei unsere defekte Batterie zu reparieren.

Weitere 2 Stunde später ist der Hort des Übels beseitigt – die Kammern sind mit frisch destillierten Wasser befüllt und die leeren Akkus geladen. Weiß glühende Funken spritzen uns bei der Vorführung der stolzen Bastler entgegen, die nur von ihren breitgrinsenden Gesichtern überstrahlt werden. Der Tag ist bereits weit vorangeschritten und die Sonne steht hoch im Zenit, als wir unseren Weg in Richtung Turmi fortsetzen können. Es wird Zeit, dass wir uns von Mafi verabschieden. Wir sind sehr dankbar für seine Hilfe und seine Art uns Land und Leute näher zu bringen – bei unserem Vorhaben, die Grenze an einem fast unbekannten Punkt zu überschreiten, kann aber auch er uns nicht helfen. Zu Beginn unserer Reise gab es für uns nur eine Möglichkeit nach Kenia zu gelangen. Von Moreale nach Marsabit. Während unseres Aufenthalts in Addis haben wir aber noch von zwei anderen Grenzübertritten erfahren, von denen einer eine gern genommene Route ist. Diese führt östlich des Lake Turkana (Lake Rudolf) durch die Wüste und verspricht neben etwas Abenteuer einen sicheren Grenzübertritt. Der dritte und von uns ins Auge gefasste Weg jedoch ist weder im Lonely Planet noch unter den Einheimischen bekannt. Die Strecke führt westlich des Sees im Dreiländereck Äthiopien, Kenia und Sudan entlang bis zum Lake Victoria.

Während wir darüber diskutieren, welcher Weg der beste für uns und unser Auto ist, erreichen wir nach einem harten Offroad-Trip Turmi. Auf dem Weg dorthin begegnen wir ein paar wenigen traditionell gekleideten Stammesangehörigen und ein paar vierbeinigen Freunden, die nicht von der Straße weichen wollen, als wir uns vorsichtig hupend nähern.

Das größte Problem, das sich uns im Moment aber stellt, sind nicht die Straßenverhältnisse oder der Grenzübertritt, sondern unsere finanzielle Situation. Aufgrund des überteuerten Spritkaufs und der ungeplanten Reparatur hatten wir quasi kein Bargeld mehr und der nächste ATM (Geldautomat) war mehr als 200km entfernt, was uns viel zu spät bewusst geworden war. Im Dunkeln und bei Windstärke vier schlagen wir unser Zelt auf einem Campingplatz am Rande von Turmi auf. Wir wissen nicht genau, was wir machen sollen und wie es nun weitergeht. Wir wissen nur, dass wir nicht mehr zurück können. Die einzige Lösung, die uns einfällt, ist die deutsche Reisegruppe, die wir schon aus Abarminch und Jinka kennen und die sich zufällig auch in Turmi befindet, nach einem Darlehen zu fragen.

So begeben wir uns auf die Suche nach der Lodge, in der wir Hilfe zu finden hoffen. Bereits in der ersten werden wir fündig. Die Situation ist uns unangenehm und peinlich, aber wir haben keine Wahl als diesen Bittstellergang anzutreten – der als „Gang nach Turmi“ in die Geschichte der Afrikareisen eingegangen ist. Als wir die Lodge betreten, treffen wir den Guide der Reisegruppe, ein unglaublich freundlicher und hilfsbereiter Mann. Wir schildern ihm unsere Lage und er bietet uns sofort Privatgeld an, dass wir dankend ablehnen, da wir uns das Geld nur leihen wollen. Er besteht jedoch darauf uns zum Essen einladen zu dürfen, was wir ohne zu zögern annehmen, da wir kaum etwas gegessen haben und die Situation kaum etwas anderes zu lässt. Wie drei ausgehungerte Löwenbabies stürzen wir uns auf eine Platte Injeera. Während des Essens gesellt sich ein Teil der Reisenden zu uns und hört sich unsere Geschichte an. Am Tisch gegenüber sitzen drei Männer, die sich angeregt über die aktuellen politischen und sozialen Probleme des Landes unterhalten. Einer dieser Männer ist ein ehemaliger Entwicklungshelfer, der für die GTZ (Gemeinschaft für Technische Zusammenarbeit) arbeitet. Er erklärt uns, dass das Land nordwestlich des Lake Turkana von Stammeskriegen zerrüttet sei und eine Fahrt durch dieses Gebiet nicht ungefährlich sein könne. Der Grund der Streitigkeiten sind Wasser und Vieh. Besonders der Viehdiebstahl führt zu blutigen Vergeltungsaktionen, ohne Rücksicht auf das Leben von Frauen, Kindern und alten Leuten. Befeuert wird der Konflikt zwischen den Stämmen der Omo, der Turkana und der Samburu durch Waffenschmuggel aus dem wenige Kilometer entfernten Südsudan. Gerade als er dabei ist tiefer in die Materie einzutauchen, beendet ein Stromausfall im gesamten Camp unseren Besuch. Zu unserer Freude übergibt uns die Reiseleiterin der Gruppe 50 US$ als Unterstützungsgeschenk. Mit etwas Orientierungsschwierigkeiten finden wir zu unserem Zeltplatz zurück und beschließen noch einmal eine Nacht über unser Vorhaben zu schlafen.

Kurz nach Sonnenaufgang werden wir sanft von einem Frosch geweckt, dessen Quaken ähnliche Dezibelzahlen wie ein startendes Kleinflugzeug erreicht. Mit oder ohne Froschwecker unsere Ausgangslage ist klar:

Pro Contra
¾ voller Tank – 40l Reservebenzin

Charme

Hoffnung

Abenteuerlust

weiße Hautfarbe (leider ein relevanter Punkt)

Freund in Kenia

Auspuff defekt

Batterie defekt

Reifen geflickt

Hinterfedern alterschwach

KEIN Visum für Kenia

KEIN Handyempfang

geschätzte 500km Offroad

Krisenregion

kein LonelyPlaneteintrag/keine Erfahrungsberichte

60US$ Bargeld

Chancen auf Hilfe – weniger als 20%

Chancen auf ein Panne über 50%

Um unserer Vorhaben umsetzen zu können, brauchen wir vor allem eines – Geld! Auch aus dem Grund, dass wir nicht wissen, was die Fähre über den Omoriver kosten wird.

Während wir diskutieren, was wir nun machen sollen, springt Lisa auf und geht zu einer deutschen Reisegruppe, die auf unserem Zeltplatz gecampt hat und gerade frühstückt. Nach unerträglichen 20Sek. des Schweigens erklären sich Ute und Heinz, ein älteres Pärchen, und Frank, ein Telekommunikationsspezialist aus Frankfurt, dazu bereit uns jeweils 50€ zu leihen. Überglücklich und erleichtert darüber, dass es Menschen gibt, die uns vertrauen obwohl sie uns nicht kennen, nehmen wir das Geld entgegen. Einer der Campingplatzangestellten, der von unserer Situation gehört hat, bietet uns an, Benzin bei ihm zu kaufen und uns mit dem Auspuffproblem zu helfen. Mit dieser leicht verbesserten Ausgangslage beschließen wir den Sprung zu wagen. Mit befülltem Tank und geschweißtem Auspuff fahren wir in das Grenzdorf Omorate.

Dank Mafis Freunden bekommen wir in Omorate den Ausreisestempel für Äthiopien, obwohl wir keine gültigen Visa für Kenia besitzen. Probleme bekommen wir jedoch mit der Fährfahrt. Da es im Umkreis von 100km keine Möglichkeit gibt, diesen kleinen Fluss zu überqueren, hat die einzige Fähre hier ein Monopol, für das wir als Weiße extra zahlen müssen. Auch der Zeitpunkt des Übertritts, der uns für den späten Nachmittag zugesichert wird, bedeutet, dass wir am anderen Ufer zelten müssen. Für sagenhaft günstige 80€ wird uns die Möglichkeit gegeben, den nur 10Meter breiten Fluß zu überqueren – Ein Hoch auf das Monopol! Als wir uns in der Mitte des Rinnsaals nach dem Grund für das großzügige Schnäppchen erkundigen, befinden wir uns binnen weniger Sekunden in einem heftigen Disput, der mit der Androhung endet, das Auto wieder zurück zu bringen. Da wir am kürzeren Hebel sitzen, müssen wir diesen Punkt dem Kapitän des Hochseedampfers gutschreiben.

Dunkelrot steht die Sonne am Horizont als wir nach 1min Fahrt am anderen Ufer anlanden. Unser Versuch, die versprochene Straße zu finden, endet nach 30min Irrfahrt durch tiefen Sand, zwei Meter hohe Maisfelder und vorbei an traditionellen Stammesdörfern in einer Sackgasse.

Wir müssen einsehen, dass wir heute den Weg zur Grenze nicht mehr finden werden und drehen, um einen sicheren Schlafplatz für die Nacht zu finden. Im Halbdunkeln dieses Flussdeltas finden wir schließlich einen Busch, hinter dem wir unser Auto parken und unser Zelt aufbauen können.

Mit unserem Gaskocher bewaffnet, kochen wir unsere letzten Nudeln im Schein unserer Gaslampe. Zu allem Überfluss stellt sich die Dose, die wir für Tomatensoße halten, als Tomatenmark heraus. Nach diesem ausgedehnten Festmahl machen wir uns für die Nacht bereit. Keiner von uns fühlt sich wirklich wohl als wir es uns in unserem Zelt bequem machen wollen. Kurz nachdem wir das Licht gelöscht haben, hören wir von rechts und von links seltsame Geräusche, die nach Verständigungsrufen klingen. Das Gefühl beobachtet zu werden schlägt von Minute zu Minute stärker in eine ausgewachsene Paranoia um. Der Höhepunkt dieses Schauspiels endet in einem wilden Gebrüll von Chris, als das Vorzelt im Spiel des Windes bei uns den Eindruck erweckt, dass ein Tier an unserem dort postierten Müll knabbert. Wenige Minuten später stürmt Basti, mit Taschenlampe und Klappspaten bewaffnet, aus dem Zelt. Doch die vermuteten Schritte entpuppen sich als ein verirrter Käfer unter der Vorzeltplane.

Trotz Wind, Käfern und Paranoia schaffen wir es ein paar Stunden Schlaf zu finden. Bei Sonnenaufgang packen wir so schnell es geht unsere Sachen und versuchen unser Glück, den Weg zu finden, erneut.

Um sicher zu gehen, fahren wir zurück in Richtung Fähre um uns dort nach dem Weg zu erkundigen. Nach kurzen Diskussionen finden wir einen Mann, der sich bereit erklärt uns zu helfen. Dank einiger Verständigungsprobleme stehen wir eine Stunde später mitten im Niemandsland, fern ab von Wegen, Menschen oder der gesuchten Grenze. Weitere 30Min später haben wir die Sprachbarriere überwunden und befinden uns auf dem gesuchten Pfad. 10km fahren wir durch die Wildnis, während der Weg immer mehr zu versanden beginnt, bis er in einer offenen Wüste endet.

Die Spuren führen uns direkt auf einen riesigen Felsen zu, der einsam aus dem Sand herausragt und auf dem sich eine kleine Ansammlung von Hütten befindet, die sich als der gesuchte Grenzposten herausstellt. Die Jungs, die hier leben und arbeiten, sind sehr freundlich und räumen nach wenigen Minuten den  Holzstamm aus dem Weg, der als Schlagbaum fungiert.

Bevor wir starten, weisen sie uns noch darauf hin, dass wir ohne Visa nicht nach Kenia einreisen dürfen und am Grenzposten Todenyang keines bekommen werden. Am Grenzstein mitten im Dreiländereck machen wir ein schnelles Foto.

Die Gegend zwischen diesen Ländern ist ebenso unwirklich wie atemberaubend schön. Links von uns glitzert das Wasser des Lake Turkana im Licht der Morgensonne, während sich rechts eine dunkelbraune und stark zerklüftete Bergkette erhebt. Die Räder unseres Autos graben sich durch weiß-gelben Wüstensand, der sich vor uns dünenförmig auftut. Voll mit Adrenalin und der Angst zurückgeschickt zu werden, erreichen wir den kenianischen Grenzposten.

Vielleicht ist es unser Glück, dass Lisa Kiswaheli spricht oder das eindringliche Bitten uns nicht zurück zuschicken, vielleicht ist es eine Mischung aus beidem, dass wir als erste Reisende, die kein Visum haben, nicht zurückgeschickt werden. 2 ½h Warten im Schatten einer Polizeibaracke und ein Gespräch mit dem regionalen Polizeichef später, sowie der Auflage für ein Visum zu dem 350km entfernten kenianisch-sudanesischen Grenzübergang zu fahren, dürfen wir einreisen!

Zusammen mit dem Grenzpolizisten Simon machen wir uns auf den Weg in das nächste Dorf. Von Entspannung ist in keinem unserer Gesichter etwas zu sehen, da wir erst weiterfahren dürfen, wenn der Visabeamte uns das „OK“ gibt. Um diese Zusage zu bekommen, müssen wir 35km durch die Wüste fahren. In dem kleinen Dorf gibt es auf einer Fläche von 3x3m den einzigen Handyempfang in Umkreis von 50km. Bereits nach den ersten Metern sind wir froh, dass uns Simon begleitet, da wir sofort im tiefen Sand stecken bleiben und uns freischaufeln müssen. Während des Feischaufelns und der Fahrt erzählt uns Simon vom Leben und vom Sterben hier am Ende der Welt. Gegen die Stammesproblematik sei die Polizei hier machtlos, da sie sofort überrannt werden würden. Die Nächte sind nicht minder gefährlich, da sie 3 Meter lange Schlangen erschießen müssen, deren Biss hier den sicheren Tod bedeuten würde. Die Hitze am Tag sei kaum zu ertragen und die Langeweile kaum zu bekämpfen. Am meisten aber fehlen ihm seine Frau und seine Kinder, die er nur zweimal im Jahr sehen kann.

Wir sind mehr als froh, dass er uns durch diesen Abschnitt der Tour begleitet und wir wissen, dass er seinen Chef überzeugt hat, uns passieren zu lassen. In dem kleinen Ort angekommen, regelt er alle unseren Angelegenheiten per Handy, organisiert uns einen lokalen Beifahrer und gibt uns den Rat unsere Visa auf unserem geplanten Weg zu organisieren und nicht den Anordnungen zu folgen. Ohne Simon wären wir jetzt nicht kurz vor Namibia. Daher wollen wir an dieser Stelle Danke sagen, da uns niemand sonst so geholfen hat wie er.

Dank des von Simon organisierten Beifahrers finden wir den Weg entlang des Sees, der gesäumt ist mit traditionellen Dörfern fernab der Zivilisation. Durch unzählige, ausgetrocknete Flussbetten und Tonnen von Sand und Gestein erreichen wir erschöpft, durstig und ohne einen Cent Geld Lodwar.

Mit dem Knattern des Geldautomaten, 2l Cola und einem gemütlichem Dreibettzimmer beenden wir diesen Trip. Nur eines fehlt uns noch zu unserem Glück – ein Visum!