In diesem Tourblog lest ihr über die nächsten besuchten Projekte, unseren Aufenthalt in Nairobi und Tansania und wie es sich am indischen Ozean zeltet…
Nairobi.
Laut. Verdreckt. Gefährlich? Verstopft. Stressig. Voll. Geschäftig. Unglaublich faszinierend.
Fast zwei Stunden brauchen wir, um uns durch die Stadt zu wühlen – oft stehen wir minutenlang, ohne dass sich in dem Verkehrschaos irgendetwas bewegt. Dennoch ist es spannend, das geschäftige Treiben auf der Strasse zu beobachten. Wir kriechen an Mathare Valley vorbei, dem zweitgrößten Slum Nairobis. Es ist zum Glück schon so dunkel, dass wir erst realisieren, wo wir uns befinden, als sich ein Stauknoten auflöst und wir weiterfahren können – in Mathare Valley möchte man selbst tagsüber nicht steckenbleiben, besonders nicht als Mzungu (die Swahilibezeichnung für „Weißer“, wörtl. :“a tricky, clever person“).
Gerade haben wir noch die Weißenhochburg mit dem passenden Namen „Westlands“ durchfahren – kaum eine Stadt verkörpert den Gegensatz Arm-Reich so sehr wie Nairobi. Nairobbery im Afrikaslang.
Zahlreiche Verkäufer umkreisen unseren Yoshi und versuchen uns Poster von chinesischen Kindern oder Jesus zu verkaufen, Nüsse oder Kuscheltiere (wie einer dieser Straßenverkäufer von seinem Einkommen leben kann, bleibt ein Rätsel.) Und dann wird Yoshi unsanft in einer dunklen, verdreckten Straße aufgehalten. Wir wissen erst überhaupt nicht was los ist, die Straße ist voll von umher rennenden Menschen, die sich gegenseitig anschreien. Wir sollen bezahlen dafür, dass wir passieren dürfen, soviel verstehen wir. Mit diesen Straßensperren bessern einige radikalere Nairobianer ihr Einkommen auf. Überrascht von Lisas Reaktion auf Swahili lassen sie uns allerdings ohne Wegzoll weiterziehen; hier wird das unübersichtliche Verkehrsgewühl zu unserem Vorteil.
Nachdem uns das GPS durch Nairobis Straßennetz erfolgreich in den Stadtteil Umoja (Swahili für „Einheit“) geführt hat, empfängt uns Elise, eine deutsche Volontärin, die in Mathare Gesangsunterricht gibt. Bei ihr werden wir ein paar Tage unterkriechen: Gemeinsam mit drei anderen Volontären hat sie sich ein Haus angemietet und wir nutzen die Abwesenheit der anderen, um uns in ihren Betten einzuquartieren. Die Zimmer sind nach deutschen Städten benannt und so kommen zumindest bei Lars und Lisa kurz Heimatgefühle auf als sie „Tübingen“ und „Hamburg“ beziehen.
Unsere Tage in Nairobi sind geprägt von absolut paradoxen Gegensätzen. Wir besuchen das Straßenkinderprojekt „Pangani Lutheran Children Center“ (PLCC) und essen Pizza im Pizza Inn. Wir besichtigen die Marmorbadezimmer im Hilton und waten durch die dreckigen Schlammpfützen Umojas. Wir singen Karaoke in einer Tanzbar (die Jungs performen professionell „Everybody“ von den Backstreet Boys) und besuchen Lisas Freundin Lilian im Slum Kariobangi. Ein Besuch, an dem wir alle etwas zu knapsen haben, ob der Armut der hier lebenden Menschen – als Lilian vom Leben in Kariobangi erzählt, müssen wir ganz schön schlucken und fühlen uns ein wenig beschämt, dass sie uns als Zeichen ihrer Gastfreundschaft Fleisch auftischt, ein absolutes Luxusgut im Slum. Da die Balance zu finden, ihr die Freude der Gastfreundschaft nicht zu trüben und gleichzeitig ihre finanziellen Mittel nicht überzustrapazieren ist nicht so einfach und uns wird einmal mehr beispielhaft vor Augen gehalten, wie paradox es doch ist, dass Menschen, die so wenig haben, so gerne geben, während andere auf ihrem Reichtum hocken.
Das PLCC
Das Center PLCC liegt ganz in der Nähe und hier spüren wir kaum aus welchen Verhältnissen die Kinder kommen, geschweige denn was sie bereits in ihrem kurzen Leben alles ertragen mussten. Die Mädchen im Alter von 4 bis 16 Jahren springen lebhaft in dem, im Gegensatz zur Umgebung nahezu paradiesischen Compound, durch die Gegend, spielen Klatsch- und Ballspiele, singen und tanzen, essen gesittet und zufrieden ihre Maisbohnenpampe Mothokoi und freuen sich, dass wir vorbeischauen, um mit ihnen Fußball zu spielen. Während Sektion München (Flo und Lars) sich um neue Federn für den Yoshi kümmert, der bei dem Münchner Zusatzgewicht noch öfter als sonst durchschlägt, versuchen Chris, Basti und Lisa die „Bande zu bändigen“.
Das PLCC ist ein Projekt der Kenianisch-Lutherischen Kirche, das sich um Straßenkinder aus Mathare kümmert. Die Einrichtung sorgt für die Mädchen in Form von frischer Kleidung und warmen Mahlzeiten. Ebenso werden die Mädchen auf die Eingliederung in staatliche Schulen vorbereitet (manche Mädchen werden im Alter von zwölf Jahren in das Programm aufgenommen, haben aber nie eine Schule besucht). Vor allem aber sorgt das PLCC dafür, dass die Kinder ein paar Stunden am Tag einfach Kinder sein können. Im normalen Slumalltag müssen sich schon die ganz Kleinen durchbeißen, irgendwie Essen beschaffen, sich vor Männerübergriffen schützen. Hier im PLCC sind sie frei, können alle Sorgen vergessen, lachen, spielen. Ca. 30 der 100 Mädchen bleiben auch über Nacht im angegliederten Waisenhaus „Pangani“, die anderen kehren am späten Nachmittag zu ihren Verwandten im Slum zurück. Häufig haben sie liebende Angehörige, denen einfach die Mittel fehlen ihre Kinder ordnungsgemäß zu versorgen. Diese familiäre Beziehung soll nicht durch die Aufnahme der Mädchen ins Panganihaus gestört werden.
(Wer das Projekt unterstützen möchte, kann sich gerne an GoalsConnect wenden oder auch direkt über die Homepage Kontakt zum PLCC aufnehmen.)
Von Nairobi aus fahren wir über das Dorf Loitoktok am Fuße des wunderschönen, jetzt in der Regenzeit sogar schneebedeckten, Kilimandjaro Richtung Tansania. Die Dorfidylle ist eine Wohltat nach dem reizüberfluteten Nairobi. In Loitoktok schlafen wir bei einem Freund von Lisa, dem 65jährigen Amerikaner Nick, liebevoll Santa getauft, der sich hier mit seiner kenianischen Frau Monicah niedergelassen hat und seinen Lebensabend genießt. Er züchtet Ziegen und Hühner, sitzt den ganzen Tag vor seinem Hühnershop im Dorf und beobachtet das Geschehen, um sich dann abends von seiner Frau fürstlich bewirten zu lassen. Aufgrund seiner direkten aber herzlichen Art schließen wir ihn schnell ins Herz und es ist total schade, dass wir schon nach zwei Tagen wieder aufbrechen müssen.
In Loitoktok – der Kili zeigt sich
Mit der Fußballmannschaft beim Videodreh
Loitoktok – Markt
In Loitoktok besuchen wir Phyllis Ndivo, die Leiterin des Loitoktok Children Orphanage Home, über die wir bereits im Tourblog #4 berichtet haben.
Auf nach Tanzania!
Über Moshi und das Dorf Lushoto in den wunderschönen Usambarabergen voll von Wahnsinnsaussichtspunkten, dschungelartiger Natur und unseren ersten Chamaeleons fahren wir Richtung tansanische Küste zur Partnerstadt Eckernfördes mit dem amüsanten Namen Tanga. Auf den Straßen wirkt alles viel organisierter als in Kenia, die Felderstruktur erinnert an die sozialistische Vergangenheit Tanzanias unter dem ersten Präsidenten Julius Nyerere und wir werden sogar angehalten, weil Bastis Fuß etwas zu schwer auf dem Gaspedal ruhte.
In den Usambarabergen
In Tanga erblicken wir dann zum ersten Mal den indischen Ozean! Flo und Lars fühlen sich reif für die Insel und wir senden die beiden mit einem hoffnungslos überladenen Frachtschiff (von den beiden eher „Viehtransporter“ getauft) nach Pemba und von dort aus weiter nach Zanzibar. Basti, Chris und Lisa entscheiden, Yoshi über die Küstenstraße nach Dar-es-Salaam zu fahren und dort Sektion München wieder einzuladen. Über eine staubige Buckelpiste geht es Richtung Süden bis plötzlich die Tore eines Nationalparks vor uns auftauchen: Keinem von uns war bewusst, dass dieser auf unserem Weg lag und wir haben natürlich nicht genug Geld dabei um ihn zu durchfahren. Zum ersten Mal auf unserer gesamten Tour müssen wir umdrehen…doch wieder einmal ist das Glück auf unserer Seite. Ohne das Nationalparkhindernis hätten wir wohl nicht so bald unser Nachtlager aufgeschlagen, sondern versucht bis Bagamoyo durchzukommen. So finden wir uns plötzlich einsam zeltend direkt am weißen Strand unter Palmen wieder. Definitiv ist dieser einer der Top -3 – Campingorte unserer Reise. Morgens beim Aufwachen den Sonnenaufgang über dem Indischen Ozean durch die Zeltöffnung zu beobachten…ein perfekter Tagesbeginn. Den Platz hatte uns der Nachtwächter der nahen, aber komplett verlassenen Lodge gezeigt; er lebt hier in einer Strohhütte mit seiner Frau und erlaubte uns auf seinem Land zu zelten. (Da wir die 140 US$ pro Nacht für die Lodge leider nicht übrig hatten.) Trotz der Schönheit der Umgebung kein Leben, das wir uns vorstellen können – so einsam.
Unser Gastgeber mit seiner Frau
In Bagamoyo gibt erst einmal unser Reifen auf und so verlängert sich unser Aufenthalt in der Kolonialstadt um ein paar Stunden. Das stört uns aber wenig, Bagamoyo hat viel Charme und Basti ist begeistert von der alten Kolonialarchitektur. Nach der langwierigen Reifenwechselaktion aufgrund von Wagenheberproblemen gönnen wir uns erstmal ein Bier in einer Strandbar und dementsprechend spät kommen wir in Dar-es-Salaam an.
Dar-es-Salaam, auf Deutsch der „Friedliche Hafen“, wird uns als permanente Staustadt in Erinnerung beiben. Schwer zu sagen, wie viele Stunden wir hier einfach nur feststeckten! Und das in der schwülen Hitze der tansanischen Küste. Dennoch eine sehr schöne Stadt, weitläufige Hafenanlagen und Strände, kleinere gemütliche Wohnviertel und Villenviertel für Entwicklungshelfer wechseln sich ab. Wir schlafen in Habibo bei Eli, Lisas Freundin aus Leipzig, die hier gerade ein Auslandssemester absolviert. Elis Mitbewohner Atanas nimmt uns mit zu einem echt eindrucksvollen Straßenkinderprojekt namens „Sombepa“ (abgeleitet von „Songa Mbele Pamoja“, „gemeinsam voranschreiten“), eindrucksvoll deshalb, weil sich die Straßenkinder hier selbst organisieren und es keinen wirklichen Schirmherren gibt. Ursprünglich war das Projekt von einem Priester ins Leben gerufen worden, dem aber nach einigen Jahren die Mittel fehlten es fortzuführen und so entschieden die Kinder, in Eigenregie als eine Art Community zusammenzuleben; die Älteren kümmern sich um die Jüngeren. Die Kinder des Projekts schlafen in 3 kahlen Räumen auf 5 durchgelegenen Matratzen, sie haben keinen Strom, keine Einrichtungsgegenstände. Alle gehen arbeiten, verkaufen zum Beispiel Nüsse an den Fährhäfen oder waschen Windschutzscheiben. Die Einnahmen werden gesammelt und von dem Geld werden Lebensmittel gekauft. Jeden Tag essen die Kinder Reis oder Ugali mit Bohnen, kulinarische Abwechslungen sind nicht drin.
Ein Schlafzimmer
Waschraum und Toilette
Wir spenden 250 € für neue Matratzen, batteriebetriebene Lampen und Lebensmittel (u.a. für ein paar Kilo Fleisch, damit die Kids mal einen richtig schönen Grillabend machen können; die Vorstellung, jeden einzelnen Tag Reis und Bohnen zu essen, macht uns ganz schön zu schaffen..).
Atanas begleiten wir noch bei seinem eigenen Projekt: Er dreht einen Dokumentarfilm über die Straßenkinder Dar-es-Salaams, mit dem er in Europa um Spenden für sein geplantes Heim für Straßenkids werben will. Das Land hierfür hat er bereits gekauft, aber der Bau des Heimgebäudes muss noch finanziert werden. Wir laufen also mit ihm durch die Stadt und filmen Straßenkinder bei ihrer Arbeit, beim Autowaschen oder den Verkaufsversuchen verschiedenster Dinge an Staupunkten. Wir kommen auch mit den Kids ins Gespräch und einige Bemerkungen der Jungs werden uns noch lange in Erinnerung bleiben. Einer sagt, er will Boxer werden, wenn er groß ist. Für den psychologischen Rückschluss muss man nicht studiert haben. Ein anderer sagt, eigentlich wäre es besser ins Gefängnis zu kommen. Da gäbe es wenigstens ein Dach über dem Kopf und regelmäßig Mahlzeiten. …
Die Tage in Dar-es-Salaam und das Projektvorhaben Atanas‘ geben uns den Anstoß wiederholt über sinnvolle Entwicklungsunterstützung zu diskutieren. Fördern wir die Korruption in Regierungskreisen, wenn „wir“, der Westen, Projekte ins Leben rufen, die eigentlich in den Zuständigkeitsbereich der Regierung fallen? Kann Präsident X nicht die für den Bildungssektor vorgesehenen Gelder anderweitig (Schweizer Konto, Waffen) verwenden, wenn sich internationale NGOs darum reißen Schulen zu bauen? Aber wird sich etwas an den Verhältnissen vor Ort ändern, wenn es keine ehrenamtlichen Projekte mehr gibt, wird die Regierung dann wirklich aktiv oder treibt das nur die Verelendung der Bevölkerung voran? Muss die Bevölkerung vielleicht sogar einmal verelenden, wie ein Magersüchtiger, der einmal ganz unten ankommen muss, bevor er den Willen entwickelt, etwas an seiner Situation zu verändern (im Falle Afrikas die korrupten Eliten zu stürzen)? Was einfach aus moralischen und ethischen Gründen nicht zugelassen werden kann. Viele Gedanken, die noch zuende gedacht werden müssen.
Vorerst bestärkt uns einfach jedes Projekt, das wir besuchen; egal ob Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig sein mag oder nicht, jedes einzelne Projekt macht uns Freude. Jedes einzelne Kind, das fröhlich und wissensdurstig zur Schule gehen kann, jedes Waisenkind, das familiäre Liebe durch seine Heimmutter erfährt, sich keine Sorgen um einen vollen Bauch machen muss; All diese Gedanken fegen vorerst unsere Zweifel über Sinn und Nachhaltigkeit beiseite.