Welcher organisatorische Aufwand hinter einer einfachen Fährfahrt von Ägypten in den Sudan steht, warum es knapp um Yoshi wurde und wertvolle „Tipps für Jedermann“ zum effektiven Beladen einer Fähre, findet ihr im aktuellen Tourblog…
Die Mittagssonne brennt mit 40°C auf unsere Köpfe als wir nach 16h Fahrt die Fähre von Assuan (Ägypten) nach Wadi Halfa (Sudan) verlassen. Das Wasser des Nasserstausees flimmert unter der weiss glühenden Sonne am Firmament. Mit verkniffenen Augen suchen wir die Weiten des Sees ab, der sich vor uns wie ein Meer aus tausenden und abertausenden reflektierenden Spiegelscherben ausbreitet. Wir wissen nicht, ob wir unser Auto jemals wiedersehen werden.
Nachdem wir Stefan in Luxor verabschiedet haben, machen wir uns bereit für das erste große Abenteuer – die Fahrt nach und durch den Sudan. Der Weg von Luxor nach Assuan führt uns entlang des Nils, der sich wie eine grüne Schlange durch Sand und Staub schlängelt. Am späten Mittwochabend erreichen wir Assuan, die letzte Station vor der blauen Grenze. Wir wussten, dass die einzige Möglichkeit in den Sudan zu gelangen die Fähre hier ist. Wir wussten auch, dass diese nur einmal pro Woche fährt. Was wir nicht wussten war, dass wir eine Vorabreservierung für unser Auto brauchten. Was wir weiterhin nicht wussten, war der Fakt, dass die nächste Fähre aufgrund eines muslimischen Feiertags erst 14 Tage später wieder fahren würde. Bereits in Deutschland hatten wir erfahren, dass der Weg nach Südafrika nur über einen Mann führt – Mr. Sallah! Das Büro jenes besagten Mr. Sallah findet sich im Zentrum von Assuan. „The Man of the Match“ ist jedoch vom Erdboden verschwunden. Seine Handynummer leitet uns zu einer blechernen und knatschigen Frauenstimme, die uns abwechselnd auf Arabisch und Englisch mitteilt, dass der angerufene Teilnehmer nicht erreichbar sei. In seinem Büro erfahren wir, dass wir Freitag morgen um 9.30Uhr mit knapp 400€ vor diesem kleinen, blau und gelb bemalten Büro warten sollen. Mit deutscher Pünktlichkeit, zerzausten Haaren und zerknautschten Gesichtern suchen wir uns einen gemütlichen Platz in der ersten Reihe. Nach und nach trudeln im Abstand von wenigen Minuten zwei deutsche Rentnerpaare ein, gefolgt von diversen Holländern, Engländern, Franzosen und Iren. Bis 10.00Uhr haben sich ca. 30 Reisende eingefunden, die alle das gleiche Ziel haben – Kapstadt!
Pünktlich um 10.53Uhr findet auch Mr. Sallah, ein hager Mann mitte Fünfzig, mit einer großen eckigen Hornbrille auf seiner Nase, den Weg zu seinem Büro. Aufgeregt betreten wir als erste das Büro. Mit einem freundlichen aber bestimmten Lächeln bittet uns Mr. Sallah Platz zu nehmen. Bevor wir in der Lage sind Platz zu nehmen, werden wir bereits nach unserer Reservierungen gefragt. Schlagartig schlafen uns unsere Gesichter ein und wechseln die Farbe von babyrosa zu neonweiss. Mit Händen und Füßen versuchen wir zu erklären, dass es keine Möglichkeit gab ihn zu erreichen. Tiefe Falten machen sich auf seiner Stirn breit. „Please wait in the front of the office.“ Ist das Letzte was wir für 45Minuten von Mr. Sallah hören. Unsere Stimmung hat Meeresspiegelniveau erreicht, als wir zusammen mit allen anderen Anwesenden das Büro wieder betreten. Mit ernster Miene verkündet unser Fährmanager, dass alle Autos in den Sudan gebracht werden können. Ein lauter Aufschrei der Freude hallt durch die Straßen von Assuan und auch bei uns macht sich Erleichterung breit. Bevor wir jedoch Ägypten verlassen können, müssen wir noch die hiesige Bürokratie überwinden. Mit GPS-Koordinaten und strikten Anweisungen im Gepäck, macht sich eine Kolonne von 8 Jeeps, 7 Motorrädern, 2 Wohnwagen und einem LKW auf den Weg zum „Traffic Court“.
Nachdem auch diese Formalitäten erledigt sind, beschließen wir den Nachmittag zu nutzen, um uns den alten Nasserstaudamm anzuschauen und eine kleine Bootstour zu machen. In einem kleinen nubischen Dorf, abseits der Touristenrouten treffen wir einen Einheimischen, der uns zum Tee und zum Angeln einlädt.
Die Ruhe und Schönheit dieses Ortes ist kaum mit einem anderen auf der bisherigen Reise zu vergleichen. Wir sitzen auf einer schattigen Terrasse und blicken auf eine kleine Bucht, die von Bergen gesäumt ist. Zwischen den Palmen am Ufer trocknen die Fischernetze und im Wasser des Nils tummeln sich kleine Kinder.
Am Horizont können wir die Ruinen einer alten Tempelanlage erblicken, die rotgetaucht im Licht der untergehenden Abendsonne dieser Szene einen majestätischen Anblick verleihen. Hier treffen wir auch Mohammed, den ehemals 2. stärksten Mann Afrikas, der uns von seinen vergangenen Heldentaten erzählt, während er gleichzeitig versucht Lisas BMI per Hand zu bestimmen.
Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, machen auch wir uns auf den Weg zurück in die Stadt, bereit für unsere Fahrt nach Wadi Halfa.
Am nächsten Morgen beginnt das Spiel der Reisenden von Neuem. Um 8.00Uhr müssen sich alle ausreisewilligen Ausländer bei der örtlichen Verkehrspolizei einfinden. Wiedereinmal sind wir die ersten und können beobachten, wie sich der Platz vor dem Verwaltungsgebäude nach und nach mit Fahrzeugen und Menschen füllt. Nach zähen zweieinhalb Stunden des Wartens werden endlich alle Anträge bearbeitet und die Reisekolonne macht sich auf den Weg in Richtung Staussee. Nach kurzer Fahrt erreichen wir den Fährhafen. Die ägyptische Bürokratie nimmt auch. Für fünf Euro ersparen die Grenzbeamten allen Anwesenden eine Autodurchsuchung und weitere zehn Euro müssen wir an den Chef dieser Chaostruppe bezahlen, ohne über den Sinn dieser Transaktion aufgeklärt zu werden. Die kritische Nachfrage eines französichen Familienvaters endet in einem heftigen Streit und der Androhung die Ausreise zu verweigern. Die Drohung verfehlt ihr Ziel nicht und hält die Korruptionsmaschinerie am Laufen. Wieder vergehen quälende Stunden des Wartens bis endlich der komplette Papierkram erledigt ist und wir die Ausreisestempel auf unserem Visum haben.
Die Sonne steht bereits tief am Horizont und taucht das Wasser in ein maisgelbes Licht. Wir nutzen die Zeit des Wartens um uns mit Dieter und Wiebke zu unterhalten. Ein Paar aus Nürnberg, das diese Tour zum zweiten Mal in Angriff nimmt. Beide lieben die Ruhe und die Abgeschiedenheit der Wüste und sind über siebzig Jahre alt.
Wieder vergeht Zeit bis wir endlich auf die Autofähre können – dachten wir! Der Größe nach müssen sich die Reisevehikel aufreihen. Bereits hier machte sich bei uns der Verdacht breit, dass etwas nicht stimmen kann. Unsere Vermutung bestätigt sich, als drei Wagen vor uns das kleine flache Schiff mit seiner blauen, von Rostflecken übersäten Lackierung, vollends beladen ist.
Ratlos und resigniert stehen wir mit drei britschen Fahrzeugen auf dem Fährweg, als Abdullah, der Fährmanager zu uns kommt und sagt, dass er eine Lösung finden werde. Entmutigt aber hoffnungsvoll beobachteten wir das Schauspiel, das sich währenddessen vor uns bot – denn der Kampf um die Personenfähre hatte begonnen. Jeder Anwesende versuchte irgendwie auf das Schiff zu gelangen – ohne Rücksicht auf Verluste. Mit Koffern und Kisten bewaffnet, drängen die Menschen auf eine kleine Luke. Rechts und links davon versuchen andere über das Geländer an Bord zu gelangen. Unter dem Druck dieses Andrangs wird das Schiff immer wieder vom Pier gedrückt. Der Kapitän versucht vergeblich das Schiff wieder anzulanden. Auch für uns und Yoshi wird es nun ernst. Abdullah hat eines der vor Anker liegenden Transportschiffe aufgebracht und winkt uns hektisch heran. Auf dem Schiff sind Arbeiter bereits damit beschäftigt Kisten mit Zuckerrohrmelasse zu entladen, um Platz für unsere Autos zu schaffen. Während andere beginnen zwei kleine Metallrampen zu installieren, die sie mit dicken grünen Kunststoffseilen befestigen.
Wenige Minuten später sind bereits die ersten Autos auf dem kleinen Transportschiff. Yoshi ist als letztes an der Reihe, was bedeutet, dass dem kleinsten aber mit Sicherheit mutigsten Auto der schwierigste Part überlassen bleibt. Mit 7000 Umdrehungen und dem Herz in der Hose arbeiten sich Basti und Yoshi die Rampe nach oben. Durch die Frontscheibe ist nur noch der gelbe Abendhimmel zu sehen. Mit lautem Getöse schleift die Seilwinde über den Asphaltboden. Einige Augenblicke später steht Yoshi sicher verstaut auf der kleinen Hilfsfähre. Sichtlich erleichtert erreichen wir unser Passagierschiff. An der Ausgangssituation hier hat sich nichts geändert. Immer noch versuchen ca. 50 Menschen samt Gepäck auf das Schiff zu gelangen. Mit „Flucht in den Sudan“ lässt sich diese Szene wohl am besten beschreiben.
Der Kapitän ist auch weiterhin nicht in der Lage, das Schiff wieder sicher vor Anker zu bringen – zwischen Pier und Boot klaffen 4 Meter Wasserfläche und die Leute in der ersten Reihe drohen in diese Knochenmühle zu stürzen. Um uns herum ist es laut, eng und stickig. Vor uns schreien die Menschen wild durcheinander und beginnen sich zu prügeln, als das Boot für wenige Sekunden den Pier erreicht. Nach endlosen 50 Minuten haben wir uns endlich an Bord gekämpft. Müde, erschöpft und mit den Nerven am Ende bahnen wir uns den Weg zum Top-Deck, auf dem der Rest der „weißen Reisegruppe“ ihre Quartiere abgesteckt hat. Neben Vincent und Karin, einem holländischen Pärchen, finden wir Platz. Es ist Nacht geworden und zu allem Überfluss müssen wir feststellen, dass wir unsere Schlafsäcke vergessen haben. Über uns bietet sich ein atemberaubender Anblick aus vielen tausenden und abertausenden funkelnden Sternen, als wir unser improvisiertes Nachtlager errichten. Eng aneinander gedrängt versuchen wir etwas Schlaf zu finden. Die Nacht wird kälter als von uns erwartet und wir sind froh, als Vincent uns einen seiner Schlafsäcke anbietet. Übernächtigt und durchgefroren betrachten wir den Sonnenaufgang über den Nasserstausee. Mit den ersten Sonnenstrahlen bietet sich uns ein Überblick über das „Flüchtlingsschiff“, das bis in den letzten Winkel beladen ist.
Wir sind bereits 12h unterwegs als am Horizont die Statuen von Abu Simbel auftauchen. Jener Tempel, der von deutschen Ingenieuren zerlegt und auf die Bergspitze gesetzt wurde, vor der Flutung des Stausees.
Vier Stunden später erreichen wir endlich den Hafen von Wadi Halfa. Als wir von Bord gehen, wissen wir nicht, wie es unserem Auto geht und hoffen, dass die Fähre wie geplant am nächsten Tag den Hafen erreicht, während wir in Richtung Horizont blicken. Unser Plan für den Notfall steht jedoch.