Wegen “kleiner” Reparaturarbeiten an unserem Auto haben wir einige Zeit mehr in San Cristobal De Las Casas verbracht, als ursprünglich geplant. Wir waren überrascht, wie viele alternative Facetten die Stadt enthüllt, wenn man etwas länger vor Ort ist. Demonstrationen, Kunstprojekte, politisch motivierte Aktionen und sogar Programme gegen Konsum und Kapitalismus machten die Zeit in San Cristobal sehr kurzweilig und wir haben uns in unserem indischen Hostel total zuhause gefühlt.
In touristischen Orten wie diesem, begegnet man verstärkt Menschen, die für verschiedenste Sozialprojekte Spenden sammeln. An einem sonnigen Nachmittag sprachen uns zwei Männer im Cafe an. Sie hätten ein Waisenhaus mit ca. 30 Kindern zu versorgen, ein Heim für Kinder aus indigenen Dörfern, in dem sie unterrichtet würden. Es war für uns ein passender Zufall, da wir gerade auf der Suche nach einem Projekt, während unserer Autoreparatur-Wartezeit waren und wir beschlossen, uns das Projekt anzuschauen.
Wir kamen pünktlich zur Mittagszeit. 30 Kinder saßen versammelt an Tischen und aßen Hühnchen mit Tortillas. Die Kinder umarmten uns gleich zur Begrüßung stürmisch und freuten sich über die Abwechslung mit uns. Die beiden Männer erzählten uns von ihrem Überlebenskampf. Sie sind Brüder, und die Einrichtung ist ein Herzensprojekt beider Familien. Ab und zu mit Hilfe von Freiwilligen ernähren und unterrichten sie die Kinder in einem kleinen Raum ohne Tische und Stühle. Sie finanzieren sich zu 100 Prozent über Spenden, jedoch sind sie manchmal zehn Stunden in der Stadt unterwegs, aus denen an schlechten Tagen nur ca. zwei Euro Spendengelder resultieren. Uns wunderte das nicht, da auch wir skeptisch waren – leider überzeugen Hochglanzbroschüren mehr als ein paar kopierte Fotos von Kindern. Ein Teufelskreis, dass etablierte Projekte mit Marketingstrategien wesentlich überzeugender wirken als kleine, indigene Initiativen, die deshalb Schwierigkeiten haben, zu überleben.
Wir schauten uns auch die Schlafzimmer der Kinder an. In einem dunklen Zimmer ohne Fenster standen vier alte, klapprige Betten für zehn (!!)Kinder. Ansonsten war der Raum leer. Unfassbar. Wir mussten sofort an unsere Kinderzimmer oder die unserer Neffen und Nichten denken. Wieder einmal ein komisches Gefühl, so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, wie unterschiedlich Chancen und Möglichkeiten auf der Welt verteilt sind. Unsere Kinderzimmer quellen über von Spielzeug, das die sensorischen und motorischen Fertigkeiten der Kleinen schult, wir gehen zum Baby-Yoga und zur musikalischen Früherziehung. Und in anderen Teilen der Erde werden Kinder “automatisch”, ohne besondere Förderung oder Bildung, groß. Schultern Verantwortung in einem Alter, in dem es unsere einzige Aufgabe ist, das kindliche Leben zu genießen. Das ist immer wieder Gedankenstoff während dieser Reise. Wir sollten uns nicht schlecht fühlen für unsere Privilegien, Chancen, die anderen verwehrt sind, aber dennoch anfangen zu hinterfragen, inwieweit wir als Gesellschaft auch Verantwortung für die Ungleichheit auf der Welt tragen.
Wir hatten eine super Zeit mit den Kindern beim Fußball auf der Straße und beim kreativen Bemalen der Fußballshirts (das mit sehr viel Hingabe und Ausdauer von statten ging, so dass fast jeder Zentimeter Stoff seine Bestimmung fand). Dieses Projekt berührte uns so sehr, dass wir hier erstmals auch privat eine Spende hinterließen und auch eine Weltkarte für den Klassenraum organisierten. Wir rührten in unserem Hostel noch weiter die Werbetrommel, sodass wir ein australisches Pärchen zu einer weiteren Spende überzeugen konnten.
Danach sagten wir erst einmal “hasta luego Mexiko”:
Aufgrund der längeren Reparaturzeit des Autos, entschieden wir uns für eine zweiwöchige Bustour durch Guatemala. In Ciudad Cuauthemoc überqueren wir die Grenze und spürten sofort die Eindrücke eines anderen Landes. Guatemala ist irgendwie anders, dachten wir uns. Alles ein bisschen unorganisierter, chaotischer, nicht so fortschrittlich.
Die so genannten Chickenbusse sollten ein großes Abenteuer für uns werden. Hierbei handelt es sich um alte ausrangierte Schulbusse aus den USA, die hier aufgemotzt und neu lackiert werden. Warum die Busse so heißen, konnte uns irgendwie niemand so richtig sagen. Es gibt mehrere Theorien die von früheren Hühnertransporten der Busse erzählen bis dahin, dass man heute mit den Dingern alles mitnimmt, auch Chicken…
Auf alle Fälle waren die Fahrten einfach nur unbeschreiblich. Die Fahrer traten aufs Gaspedal als gäbe es kein Morgen. Selbst Dunkelheit oder Regen konnte sie nicht aufhalten mit 100 Sachen andere Autos kurz vor Kurven zu überholen. Man spürte auch den Respekt der Autofahrer, wenn man einen dieser getunten Raketen im Rückspiegel sah. Oftmals fuhr man rechts ran, um dem Auffahren der Busse (bis zu einem Meter) aus dem Weg zu gehen.
Höhepunkte dieser autofreien Chickentour waren der Lago Atitlan und der Besuch der Hauptstadt Guatemala City. Am Ufer des Vulkansees Atitlan gibt es zahlreiche Dörfer, die nur per Boot miteinander verbunden sind. Wir verweilten ein paar Tage in San Marcos, einem kleinen Dorf, in dem wir ein weiteres Projekt besuchen. Andrew, ein Spanischlehrer aus den USA leitet ein Projekt, das ca. 50 Kindern täglich eine warme Mahlzeit ermöglicht. Auch ältere, arme Menschen können sich hier satt essen. Wir spielten mit den Kindern an zwei Tagen Fußball, was allen sichtlich Spaß machte.
In Guatemala City besuchten wir Carlos, einen Couchsurfer, und seine Familie. Carlos lernt Deutsch und spricht es auch fast schon perfekt. Seine Mutter bekochte uns den gesamten Tag und wir verbesserten unser spanisch in den stundenlangen Gesprächen mit ihr während des Essens. Die Familie nahm sich viel Zeit für uns, zeigte uns die Stadt per Fahrrad, Auto oder zu Fuß und wir waren sehr dankbar. Es ist wunderbar ein Land bzw. eine Stadt so kennenzulernen, ohne Touristen-Info oder organisierten Touren, einfach Teil des Alltags einer ganz normalen Familie zu sein. Selbst die örtliche Marimba-Musikgruppe des Vaters, die mittwochs zur Probe erscheint, ließ sich durch unsere Anwesenheit nicht beirren. Es war eine tolle Zeit und der Ruf der Guate (so nennen die coolen Leute in Guatemala City) vorauseilt, gefährlich, dreckig und hässlich zu sein, bestätigte sich für uns nicht.
Auf dem Weg zurück nach Mexiko durchquerten wir Cichicastenango, eine kleinere Marktstadt im Norden des Landes. Am 1. November feiert man hier den Tag der Toten. Als wir abends die Stadt erreichten, schimmerte etwas ganz hell am Horizont. Später stellte sich das große Flackern als Friedhof heraus, der mit unseren nur wenig gemeinsam hat. Riesige Grabstätten, teilweise die Größe von Minihäusern reihen sich hier in engen Gassen aneinander. Tausende Menschen waren mit Lichtern oder Fackeln zu Gast und aßen auf den Gräbern ihrer verstorbenen Familienangehörigen. Es waren unfassbare Eindrücke, als wir das sahen. Das ganze zog sich noch den gesamten darauffolgenden Tag, an welchem zudem noch tausende Drachen in die Luft gelassen wurden.
Guatemala hat uns sehr gefallen doch nun sollte die Reise per Auto in die nächste Etappe gehen.
Tatsächlich erhielten wir unser treues Vehikel in San Cristobal in neuer Frische auszuschließend. Neu lackiert und fein herausgeputzt wurde er uns vorgefahren und die Freude war groß. Es konnte nun also weitergehen. Richtung Belize, ein Land, das uns völlig unbekannt war, wie wohl auch so vielen bei uns zu Hause in Deutschland. Wir fuhren über Palenque, eine sehr alte Maya-Ruinenstadt im Dschungel Richtung Osten, wo das kleine Karibikland auf uns wartete…