„10-9-8-7-6-5-4-3-2-1…Gesundes Neues Jahr“ Das Lagerfeuer knistert, während wir am Eingang des Lower Sambesi Nationalpark am Ufer des gleichnamigen Flusses Silvester feiern.
Nach den interessanten Tagen in Dar es Salam sind wir auf dem Weg zu unserem nächsten Projekt in Iringa. Das Amani Orphans Home Mbigili (www.mbigili.com) wurde von Ursula Lettgen gegründet und über Jahre hinweg betreut. Wir sind sehr gespannt auf dieses Projekt, für das die Gründerin stellvertretend das Bundesverdienstkreuz erhalten hatte. Leider mussten wir bereits zu Tourbeginn erfahren, dass Frau Lettgen nach langer Krankheit im September 2010 verstorben ist. Wir möchten daher an dieser Stelle noch einmal unser Beileid ausdrücken und wünschen dem neuen Projektdirektor Ingo die erfolgreiche Weiterführung dieses großartigen Heims.
Quer durch Tansania fahren wir in Richtung Iringa. Die Straße ist schlecht und die Bus- und LKW-Fahrer irgendwo zwischen wahnsinnig und lebensmüde. Unsere neuen Federn halten diesem ersten Härtetest stand und auch die Reifen machen keine Probleme auf dem holprigen Geläuf. Auch wenn die Straßen schlecht sind, so sind sie doch stark befahren und machen das Fahren nicht einfacher.
Nach zwei Tagen erreichen wir Iringa. Es ist bereits dunkel und wir haben Schwierigkeiten den schmalen Feldweg zu dem abseits der Straße gelegenen Projekt zu finden. Wir werden bereits erwartet als wir aus dem Auto steigen. Binnen weniger Sekunden werden wir von einer Schar Kinder umringt, die sich zuvor im Lichtkegel der Scheinwerfer gesammelt hat. Im Hintergrund stehen zwei Männer, die sich als Ingo und Heiner (der Zivi des Projekts vorstellen). „Der Tisch ist gedeckt und die Betten bezogen.“, gibt uns Ingo aus dem Hintergrund zu verstehen. Wir freuen uns über die herzliche Begrüßung und laufen dem von Kerzen beleuchteten Hauptgebäude entgegen. „Leider haben wir mal wieder einen Stromausfall“, teilt uns Heiner mit. Es riecht nach Rindereintopf und Maisbrei als wir den Essensraum betreten. An besonderen Tagen, wie diesen, sei es üblich etwas besonders zu kochen, erzählt uns Ingo während er uns unsere Plätze zuweist. Hungrig und ausgepowert von der langen Fahrt machen wir es uns auf den Stühlen bequem. Eines der Kinder spricht das Tischgebet, bevor sich alle hastig auf das wohl duftende Essen stürzen.
Während wir unsere Teller leeren, erzählt uns Ingo etwas über das Projekt und die Gegend hier, in der es beheimatet ist. Gerade der Highway, auf dem wir gekommen sind, ist eines der Hauptprobleme der Gegend. „Aidshighway“ wird diese Transitstraße auch noch genannt. Der Grund hierfür ist der starke Schwerlastverkehr, denn in den Dörfern entlang der Strecke haben meist blutjunge Mädchen ungeschützten Geschlechtsverkehr mit den Truckfahrern. Die Bezahlung für diese „Gefälligkeit“ ist meist nicht mehr als eine Cola, was diesen Kindern auch den Namen „Cola-Mädchen“ eingebracht hat. Das Essen fällt uns sichtlich schwerer, auch wenn wir schon so etwas vermutet haben.
Als das Essen beendet ist, wird es Zeit die Kinder ins Bett zu bringen. Auch wir machen uns auf den Weg in unser Zimmer. Während Lisa bei Ingo im Gästezimmer übernachtet, nehmen wir Jungs mit einem der Kinderzimmer vorlieb, das aus zwei kleinen Doppelstockbetten und einem Schrank besteht. Unter lautem Quietschen und heftigen Wackeln steigen wir in die Betten und hoffen, dass diese auch für schwere Kinder ausgelegt sind. Bevor wir uns schlafen legen, erklären wir uns noch bereit die kleinen Racker am nächsten Morgen zum Gottesdienst zu fahren, da sie die Strecke sonst zu Fuß bewältigen müssen.
Am nächsten Morgen sitzen wir bereits um 7.30Uhr am Frühstückstisch in Ingos Haus. Mit selbstgebackenem, deutschen Brot und Omas Marmelade aus dem Rheinland starten wir in den Tag. Bevor wir die Kinder in den Gottesdienst bringen, führt uns Ingo noch über das Gelände. Neben vier Kinderhäusern verfügt das Projekt über ein Haupthaus, kleinere Gästehäuser und über Stallungen für Kühe, Hasen und Hühner. Mit Hilfe von kleinen Feldern, auf denen Mais angebaut wird, versucht sich das Projekt teilweise selbst zu versorgen. Wie schon in Addis oder Tinderet sind wir beeindruckt von dem Umfang und den Möglichkeiten hier vor Ort. So werden nicht nur Arbeitsplätze für Erzieher, sondern auch für andere Berufe geschaffen und durch lokale Kräfte besetzt. Am Ende des Rundgangs fahren Flo, Lisa und Lars die kleine Schar von 20 Kindern in die Dorfkirche. Zwei Wochen vor unserem Besuch ist das Dach, der in der Nähe befindlichen Kapelle, eingestürzt, bei dem einige Kinder verletzt worden sind.
Für den Nachmittag haben wir unser Training und Fußballspiel geplant, an dem auch die Kinder aus dem nahegelegenen Dorf teilnehmen sollen. Rund 50 Kinder warten schon ungeduldig, als wir zu dem sandigen mit Holztoren ausgestatten Bolzplatz kommen. Wie bei den Projekten zuvor werden wir von einer spielwütigen Traube umringt. Zuerst müssen wir aber die kleinen von den großen Kindern trennen, um mit ein paar Aufwärmübungen beginnen zu können. Über 3h verbringen wir mit den Kids und alle sind bis zum Schluss mit vollem Einsatz bei der Sache. Zur Belohnung spendiert Ingo eine Portion Gummitierchen für alle. Erschöpft und zufrieden beenden wir diesen ereignisreichen Nachmittag. Den Rest des Abends spielen wir mit den Kindern aus dem Projekt. Die Kleinen sind voller Energie, singen und tanzen die meiste Zeit, bis wir sie in ihre Schlafhäuser bringen.
Schweren Herzens verlassen wir am nächsten Morgen diesen munteren Haufen, den wir sehr ins Herz geschlossen haben. Mit im Gepäck haben wir Heiner, der als Brotlieferant fungiert und sichtlich froh ist, uns ein Stück begleiten zu können. Auch wir freuen uns, dass er dabei ist und uns mit hilfreichen Tipps versorgt. Zusammen mit Heiner machen wir einen kleinen Zwischenstopp in Iringa und versorgen uns mit ein paar Lebensmitteln, bevor wir unseren Weg nach Malawi fortsetzen.
Bereits zu Tourbeginn hat uns Dr. Neugebauer, ein befreundeter Arzt, angeboten in seinem Haus am Lake Malawi ein paar Tage zu verbringen. Wir wollen die Gelegenheit nutzen, um die Weihnachtsfeiertage dort zu verleben. Vorher aber machen wir noch einen Abstecher nach N’katha Bay, das etwas nördlicher am besagten See liegt. Zu unserem Pech hat gerade die Regenzeit eingesetzt und wir können erst am 24.12. zu dem Haus weiterfahren.
Hier werden wir von Gernot, einem Deutschen, der nach Malawi ausgewandert ist und dem das Grundstück gehört, empfangen. Verblüfft können wir feststellen, dass schon alles für uns organisiert wurde. So verbringen wir die Feiertage mit leckerem Weihnachtsessen, bestehend aus Hühnchen und Rinderfilets. Mangos und Avocados sammeln wir unter den Bäumen am Strand und freuen uns über den leckeren Nachtisch. Weihnachten verleben wir im Lichte einer kleinen Petroleumlampe und mit leckeren Plätzchen aus Iringa. Unter dem waldgrünen Plastikbaum aus Dar es Salam, den wir mit buntem Lametta geschmückt haben, verstauen wir unsere Geschenke.
Bereits am zweiten Weihnachtsfeiertag geht unsere Reise weiter in die Hauptstadt Lilongwe, wo zwei weitere interessante Projekte auf uns warten.
Chiluba School
In Malawi wollten wir unserem Repertoire an Kindereinrichtungen eine staatlich gefuehrte Grundschule hinzufuegen. Staatlich gefuehrt – offiziell ja, aber es ist zu bezweifeln dass die malawische Regierung ueberhaupt von der Existenz der „Chiluba Primary School“ in einem kleinen Dorf 30 km noerdlich von der Hauptstadt weiss.
Selten waren wir so geschockt nach einem Projektbesuch, und selten so wuetend. Bildung ist anscheinend nicht die hoechste Prioritaet der Regierung des Praesidenten Mutharikas. Folgende Fakten sprechen fuer sich: Die Chiluba Primary School ist die einzige Schule in der Region, und aus ueber 8 Doerfern kommen taeglich 1800 Kinder zum Unterricht. Damit kommen Klassengroessen von bis zu 345(!) Schuelern zustande. Die Grundschule umfasst in Malawi acht Klassenstufen – und aufgrund des klaeglichen Raumangebots sowie des Lehrkraftmangels koennen momentan nur zwei Klassen zweizuegig angeboten werden. Doch nicht nur hoffnungslose Ueberfuellung beeintraechtigt die Lernatmosphaere in Chiluba: Es gibt nur 4 richtige Klassenraeume; alle anderen Klassen sind ausgelagert in kleine, etwa 10 qm grosse mit Strohbuescheln unterteilte Eingrenzungen. Hier sitzen die Kinder zusammengepfercht auf dem Boden; Stuehle und Tische geschweige denn Tafeln oder Kreide gibt es nicht. In der Regenzeit muss zudem der Unterricht ausfallen, da die „Klassenraeume“ nicht ueberdacht sind. Die Schulleitung hat beim oertlichen MP (Member of Parliament) bereits mehrfach oeffentliche Foerdermittel beantragt – erfolglos. Waehrenddessen strahlt in Lilongwe die prunkvolle Weihnachtsbeleuchtung, die das Parlamentsgebaeude auf kuriose Weise dekoriert.
Das Buero des Direktors, in dem wir empfangen werden, ist ein heilloses Durcheinander. Buecher, Muell, Zettel, Testhefte liegen kreuz und quer verteilt; selbst den Fussboden kann man kaum erahnen. Auf 8 qm Ordnung zu halten faellt dem Direktor sichtlich schwer. Wir duerfen uns in das staubige Gaestebuch eintragen, in dem bisher nur wenige Besucher aufgefuehrt sind – nicht ueberraschend verirrt sich kaum mal jemand auf das Schulgelaende abseits des Dorfkerns.
Umso mehr freut es die Lehrer, dass wir den Weg zu ihnen gefunden haben, wohl auch, weil wir einige Stunden Beschaeftigung der Schuelermassen versprechen. Von der Anzahl der Fussballfreudigen sind wir zunaechst etwas geschockt und fragen uns, ob die Aktion nicht in einem heilosen Chaos enden wird…aber es ist unglaublich: Die Schueler beweisen eine tolle Mischung aus Begeisterung und Disziplin. Wer gerade nicht spielen kann, steht am Rand und feuert seine Freunde an, keiner tanzt aus der Reihe. Ein tolles Training, wirklich.
Die Chiluba Primarz School war uns einfach sympathisch. Aber als wir uns verabschieden, stehen wir vor dem Dilemma, wie wir mit der offiziellen „Staatlichkeit“ des Projektes umgehen. Wollen wir die Schule effektiv unterstuetzen, muss der Umfang der Spende groesser ausfallen, um Wirkung zu entfalten. Allerdings enthaeben wir damit die Regierung Malawis der Verantwortung, sich um die Bildung der laendlichen Bevoelkerung zu kuemmern. Und ohnehin fuehlen wir uns nicht wohl bei dem Gedanken, dem Schulleiter einfach Bargeld fuer Tische und Stuehle in die Hand zu druecken. Und so lassen wir nur unseren beachtlichen Restbestand an Bloecken und Stiften sowie ein paar Baelle und Leibchen in der Chiluba. Und auch darueber ist die Freude riesengross. Nicht nur wir werden diesen Tag lange in Erinnerung behalten.
Unser zweites Projekt an diesem Tag ist ein Fußballclub aus einem Dorf in der Nähe der Stadt, das uns von Dr. Neugebauer empfohlen worden ist. Auf einem Feld, das auch als Weide fungiert, treffen wir uns mit der Mannschaft und ihrem Spielertrainer. Die Jungs trainieren oben ohne, da sie kein Geld für Trikots haben und auch sonst lässt die Ausstattung zu wünschen übrig. Besonders die Geometrie des Platzes, die sich in der Anordnung der Tore verdeutlicht, fasziniert uns. Schnell spricht sich unser Kommen auch bei den Kindern in dem nahegelegenen Dorf herum. Binnen Minuten werden wir von rund 100 „Rackern“ umringt. Die Jungs von der Fußballmannschaft freuen sich über unser Kommen und sind mit vollem Einsatz bei der Sache. Auch Lars und Flo sind bei dem abschließenden Spiel mit vollem Einsatz dabei, auch wenn wir alle schnell an unsere konditionellen Grenzen stoßen. Währenddessen beschäftigt Lisa die Schar an Kindern, was ihr augenscheinlich gut gelingt. Da wir bereits vor der Tour einen Satz Trikots vom VfR Bad Lobenstein erhalten haben, machen wir den oben ohne Kickern ein ganz besonderes Geschenk. Die Freude ist riesen- groß und wir werden unter Applaus verabschiedet.
Für den nächsten Tag haben wir einen großen Ritt nach Lusaka, in die Hauptstadt von Sambia, geplant, wo wir Stefan empfangen wollen, der nach zwei Monaten Abstinenz endlich wieder zum Kader stoßen wird. Entlang majestätischer, grüner Wälder fahren wir nach Lusaka. Die wenigen Dörfer entlang der Strecke sind aus einfachen Lehmhütten gebaut und das Leben hier erscheint uns ärmlich und hart, hier in der Abgeschiedenheit. Umso größer ist der Kontrast, als wir nach Lusaka hineinfahren. Der Straßenrand ist gesäumt von übergroßen Reklametafeln auf denen Handyanbieter und Bierproduzenten für ihre Produkte werben, die alle ein besseres Leben versprechen. Hinter diesen Schildern stehen riesige Einkaufszentren nach amerikanischem Vorbild. Mit den frischen Eindrücken der ärmlichen Dörfer im Hinterkopf schwankt unser Gefühl beim Anblick dieser Hochglanzstadt irgendwo zwischen Fassungslosigkeit und Ekel. Es ist, als hätte man die Grenze zu einer anderen, auf schönpolierten Welt betreten.
Der nächste Morgen ist von Wiedersehensfreude geprägt, als wir Stefan in Empfang nehmen können. Noch am gleichen Tag beschließen wir über Silvester in den nahegelegen Lower Sambesi Nationalpark zu fahren.
Wir machen jedoch einen entscheidenden Fehler, nämlich niemanden in unserem Hostel über den Park zu befragen. Wie es das Glück will, erfahren wir an einem Gate in der Nähe des Parks, dass dieser aufgrund der Regenzeit geschlossen ist. Enttäuscht aber nicht entmutigt, beschließen wir trotzdem bis zu dem Haupttor zu fahren. Durch metertiefe Schlammpfützen und steinige Flussbetten kämpfen wir uns 20km durch das Gelände. Dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben, merken wir bereits nach wenigen Kilometern, als eine Herde Elefanten direkt vor uns auftaucht. Unser Nachtlager schlagen wir in einem verlassenen Camp am Ufer des Sambesi River auf. Mit Pasta, Bier und Böllern feiern wir am Lagerfeuer das neue und hoffentlich sehr erfolgreiche Jahr für uns und GoalsConnect.