„Wadi Halfa – Addis“ – Tourblog #6

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Die Reise geht weiter – nach Äthiopien. Lest in diesem Tourblog u.a. über die Tour nach Addis Abeba, einen plötzlichen Landschaftswandel und über die nächsten besuchten Hilfsprojekte…

Nach drei Tagen Großstadt zog es uns dann wieder aufs Land und wir brachen auf Richtung Osten. Wir hatten uns vorgestellt, wie im sudanesischen Norden gemütlich einsam in der Wüste zu zelten, aber bis zur äthiopischen Grenze reihten sich Lehmhütten und Dörfer aneinander und auch die Sanddünen wurden von Ackerland und Savannenlandschaften abgelöst. Ein anderer Anblick des vegetativ so vielseitigen Sudans…

Keine Sekunde unseres Sudanaufenthaltes passte irgendwie zu den Vorurteilen, die die Nachrichtenübertragungen in Deutschland über das flächenmäßig größte Land Afrikas in uns aufgebaut hatten: Bis auf eine kurze politische Diskussion über den Nord-Süd-Konflikt mit einem nordsudanesischen Geschäftsmann und der kurzen Nachricht (aus dem Internetcafe(!)), ein paar nordsudanesische Bomben hätten Darfur erreicht, haben wir nicht einmal unterschwellig etwas von Krisen oder Unsicherheiten gespürt. Im Gegenteil, die Sudanesen waren überaus friedlich und entspannt  und als wir abends über einen Dorfjahrmarkt schlenderten und die Dorfjugend in Stöckelschuhen und mit Zuckerwatte in der Hand beobachteten, konnten wir uns kaum vorstellen, dass im Südwesten des Landes seit Jahrzehnten der Ausnahmezustand herrscht.

Momentaufnahmen unserer Reise:

Eine Dorfstrasse am Tag des Opferfestes, dem Ende des Rammadan

Bei einem kurzen Stopp zum Videodreh – sofort vom halben Dorf umlagert

Ein sudanesisches Riesenrad

Je mehr wir uns der äthiopischen Grenze näherten, desto mehr steigerte sich unsere Vorfreude auf gemäßigte Temperaturen und ein schönes kaltes Bier (im islamischen Norden gilt das Gesetz der Scharia, sprich Alkoholkonsum wird mit 40 Peitschenhieben bestraft). Und so beschlossen wir uns zwei Tage nach unserem Aufbruch aus Khartoum am frühen Abend vom Sudan zu verabschieden; der Grenzübergang in dem kleinen Dorf Metemma verlief reibungslos und die äthiopischen Grenzposten luden uns ersteinmal zum Nationalgericht Injeera ein (ein grosser graubrauner Fladen, von Basti und Chris liebevoll „Schwamm“ getauft) mit Shiro Wot (eine rote scharfe Sosse mit Linsen).

Die ersten Momente und Fahrminuten nach erfolgreich abgewickelten Grenzformalitäten sind immer ganz besondere – irgendwie saugt man viel intensiver als sonst auf, was um einen herum passiert, nimmt viel mehr Dinge und Einzelheiten wahr, und die ersten Eindrücke von dem neuen Land, das auf einen wartet, zu sammeln ist unglaublich spannend. Und der Grenzübergang Sudan – Äthiopien war wohl der krasseste unserer bisherigen Reise. Unmittelbar nach Grenzübertritt scheint sich die gesamte Natur zu verändern(irre, wenn man bedenkt, dass Grenzen ja nur von Menschenhand gezogene Linien sind..), und auch die Menschen sehen mit einem Mal komplett anders aus . Insenz, die Gewürzmischung, die Äthiopier auf Holzkohle verbrennen, und Injeera verbreiten einen ganz anderen Geruch als die staubige, warme sudanesische Luft. Die arabischen Schriftzeichen auf Schildern und Reklametafeln verwandeln sich in Amharische und der Fussverkehr auf den Strassen verdreifacht sich. Äthiopien ist viel bergiger und grüner als der Ostsudan und einfach wunderschön…

Da es schon dunkel wurde, beschlossen wir, uns im grenznahen Dorf Shedi ein Nachtlager zu suchen – und da alle Hotelzimmer belegt waren, räumte eines der Hotelmädchen ihr eigenes Zimmer für uns. Leider plagten uns Mücken und Spinnen so sehr, dass für Chris die Nacht im Yoshi endete und wir am nächsten Tag schon im Morgengrauen aufbrachen.

Das Frühstück nach einigen Kilometern war einer der besonderen Momente unseres gesamten Äthiopienaufenthaltes. In der Morgensonne hielten wir in einem kleinen, gemütlichen Dorf und setzten uns vor eine kleine Holzhütte, an der man nur erkennen konnte, dass sie als Restaurant fungierte, da ein bunter Teller an der Tür befestigt war. (Ist das lokal gebraute Tala-Bier fertig, hängt auch eine Tasse daneben.) Mit Tee und frisch gebackenem Brot saßen wir bestimmt eine Stunde vor der Hütte, genossen Ruhe und Aussicht auf die wunderschönen Hochlandberge und den Geruch des extra für uns frisch gerösteten, berühmten äthiopischen Kaffees. Schnell waren wir von neugierigen Dorfkindern umringt, die uns zurückhaltend beobachteten und sich kaum trauten, die von Chris angebotenen Malutensilien anzurühren. Ein erstes tiefes Einatmen Äthiopiens, des geschichtsträchtigen Landes der Königin von Saba und Kaiser Haile Selassie I.

Die Menschen zu beobachten, die auf den äthiopischen Straßen unterwegs sind, wird nie langweilig. Hauptsächlich sieht man sie zu Fuß ihres Weges gehen, auch bei enormer Entfernung zur nächsten Ortschaft; die Äthiopier sind sprichwörtlich ein Volk in Bewegung (was vielleicht auch erklärt, warum das Land so viele gute Läufer hervorbringt). Aber auch viele Eselskarren und Maultiere mit bunten Troddeln geschmücktem Geschirr kreuzten Yoshis Weg, und so ein Amhare in ein weites weisses Gewand und einen Turban gehüllt auf einem traditionell dekorierten Vierbeiner vor der pompösen Bergkulisse des äthiopischen Hochlandes ist ein Anblick wie aus dem Bildband.

Nach einem kurzen Halt in der Bergstadt Gonder, in der wir eine richtige Ritterburg aus dem Mittelalter besichtigten (wer hätte gedacht, dass es in Äthiopien Ritterfestungen gab .. ) sowie die Brauerei des Nationalbieres „Dashen“ (an dem die Regierung Teilhaber ist, Oppositionelle halten sich dementsprechend an das Konkurrenzprodukt St.George. Witzig, dass die politische Gesinnung hier am Bierkonsum zu erkennen ist. Obwohl es in Äthiopien alles andere als förderlich für die Karriere ist öffentlich Regierungskritik zu äußern) fuhren wir nach Bahir Dar an den Tanasee.

Bahir Dar ist für viele Äthiopier die schönste Stadt des Landes, mit seinen Palmenalleen, dem malerischen Seeufer und den vielen kleinen Inseln, auf denen sich unzählige alte Klöster verbergen. Wir zelteten am Ufer des Sees, machten eine gemütliche Bootstour im Sonnenuntergang, einen Ausflug zu den Blue Nile Falls in der Nähe der Stadt, genossen frischen Fisch und den ersten Abend äthiopischen Nachtlebens. Hier trafen wir auch auf zwei Engländer(Pete und Steve), die wir von der Fähre über den Nasserstausee kannten, und wir beschlossen, bis zur Landeshauptstadt Addis Abeba gemeinsam zu reisen.

Der Lake Tana

Mit Pete und Steve vor den Blue Nile Falls

Markt in Bahir Dar

Während wir in der Stadt waren, feierte Bahir Dar und die gesamte Provinz den Jahrestag, an dem die kommunistische Militärregierung Äthiopiens, die Derg, 1991 gestürzt worden war; es zogen überall in der Region Festzüge durch die Straßen, Soldaten auf bunt geschmückten Pferden, laute Rufe und Musik schallten durch die Gegend. Ein unglaublicher Anblick. Und ein einschneidender Tag in der Geschichte des Landes; die Erinnerung an den Roten Terror mit dem das Militärregime Äthiopien überzogen hatte, ist in vielen Köpfen nur zu lebendig.

Die Fahrt nach Addis Abeba war zwar einer der bisher längsten „Schläge“ unserer Reise, aber auch einer der schönsten – die Straßen waren super (dank chinesischer Entwicklungshilfe!) und die Aussicht bombastisch. Trotzdem waren wir froh, als die Lichter der höchst gelegenen Hauptstadt der Welt, der „neuen Blume“ (Amharisch: „Addis Abeba“) Äthiopiens, durch die Bäume blitzten.

In Addis sollten wir ganze Tage verweilen, unseren Yoshi ein bisschen durchorganisieren, Wäsche waschen, einiges Organisatorisches erledigen und vor allem drei tolle, sehr unterschiedliche Projekte besuchen: Die deutsche Schule für Kinder aus hilfsbeduerftigen Familien, das Fistula-Krankenhaus für geburtsverletzte Frauen und das Center for Mentally Challenged Children (CMCC).

Impressionen aus Addis

Das CMCC

Das „Center for Mentally Challenged Children“ liegt ein wenig außerhalb des Stadtzentrums in einem der weniger entwickelten Stadtteile Addis Abebas. Körperlich eingeschränkte Menschen sind in Äthiopien überraschend gut in das Alltagsleben integriert; es gibt allerdings höchstens eine Handvoll Einrichtungen, die Kinder mit geistigen Behinderungen unterstützen. Das CMCC, auf Initiative der äthiopisch-evangelischen Kirche „Mekane Yesus“ errichtet,  ist ein absolutes Paradebeispiel für die individuelle Förderung der Kinder je nach ihren kognitiven Fähigkeiten. 362 Kinder erhalten hier eine schulische Ausbildung und werden physiotherapeutisch betreut. So weit wie möglich autark durch eigene Schreinerei, Felder, Kühe und eine Bäckerei können laufende Kosten gering gehalten werden; Schulmaterialien und einfache physiotherapeutische Geräte werden selbst hergestellt. Die Kinder lernen in geräumigen, hellen Klassenzimmern nach dem Montessori-Prinzip; die Älteren können je nach persönlichem Talent Schneidern, Sticken, Backen oder andere Fähigkeiten erlernen, die ihnen für die Zukunft ein kleines Einkommen einbringen können. Die Gebäude waren total gemütlich und heimelig eingerichtet, die Kinder fröhlich und aufgeweckt und nicht nur die Materialien und Räumlichkeiten, sondern auch die Lehrkräfte und Therapeuten strahlten eine fachliche und soziale Kompetenz aus, die uns tief beeindruckt hat.

Im Klassenzimmer der Ältere

Die 7. Klasse beim Sportunterricht

Da sich die Verwaltungsbüros momentan in zwei für Klassenzimmer vorgesehene Räume befinden, diese allerdings dringend benötigt werden, plant das CMCC ein weiteres Gebäude auf dem Gelände zu errichten. Hierfür existieren bereits Baupläne, nur die Finanzierung ist noch nicht gedeckt; Stück für Stück sammelt sich das Zentrum Spenden zusammen um den Bau möglichst bald zu realisieren. Wer das CMCC gerne unterstützen möchte, kann sich gerne an uns wenden oder auch über die Homepage www.eecmy-cmcc.net direkt Kontakt mit dem Center aufnehmen.

Das Fistula-Krankenhaus für geburtsverletzte Frauen

In Addis haben wir noch eine Einrichtung besucht, die etwas aus der Reihe unserer bisherigen Projekte fällt, die wir aber einfach wahnsinnig interessant fanden: Das Hamlin-Fistula-Krankenhaus für geburtsverletzte Frauen. Hier werden Frauen behandelt und operiert, die an Obstetric Fistula leiden, einer durch zu lange und starke Wehen ausgelösten Fraktur zwischen Blase und Vagina bzw. Vagina und Rektum, die zur Inkontinenz führt. Verursacht wird die Fraktur und somit die anormale Öffnung im Unterleib der Frau durch einen zu großen Druck des im Mutterleib feststeckenden Babys.

In Industriestaaten kann diese Fraktur meist durch schwangerschaftsbegleitende Maßnahmen und in letzter Konsequenz durch Kaiserschnitte verhindert werden – in den Hütten auf dem Land in Äthiopien gibt es allerdings kaum medizinische Versorgung und die Babys sterben in 99 % aller Fälle. Die Mütter benötigen nicht nur medizinische Betreuung und müssen schnellstmöglich operiert werden (mit einer 95%igen Heilungschance), sie müssen auch psychisch mit der Scham der Inkontinenz und dem Tod ihres Babys fertig werden. Im Fistulakrankenhaus werden sie auch diesbezüglich betreut.

Einfach genial ist es, dass sich das Krankenhaus die Prämisse gesetzt hat, niemals eine Patientin abzuweisen. Und bisher konnte noch jede Frau, die es bis vor die Krankenhaustore in Addis geschafft hat, aufgenommen werden. Um auch in abgelegenen Dörfern das Krankheitsrisiko zu mindern, bildet Fistula auch Hebammen aus, um bei dem Geburtsvorgang vor Ort assistieren zu können.

Das Krankenhaus hat ein wunderschönes, vielbewachsenes Gelände und wirkt richtig idyllisch; die Frauen spazieren, eingewickelt in bunte Flickendecken, in den Gärten und entspannen. Wir wurden total herzlich empfangen und Mitarbeiterin Feven hat sich viel Zeit genommen, all unsere Fragen zu beantworten. Wir trafen auch auf die beeindruckende Gründerin des Krankenhauses, Dr. Hamlin, die mit ihren über 80 Jahren unfassbar aufrecht und kraftvoll auf den Gartenwegen spazierte. Eine besondere Begegnung und eine faszinierende Frau.

Ein richtig gutes Gefühl, so ein sinnvolles, funktionierendes und erfolgreiches Projekt zu besuchen.

Nähere Infos unter www.hamlinfistula.org oder über haddis.f@hamlinfistula.org .

German Church School

Im Herzen von Addis am Rande des Universitätsgeländes liegt die German Church School. Diese Schule  mit 1200 Schülern, sowohl Kindern und Jugendlichen als auch Erwachsenen, ist eine äthopische Schule unter deutscher Verwaltung. Pfarrer Martin Gossens und Direktor Ato Teklu Tafesse sorgen dafür, dass diese Schule ausgezeichnet geführt wird. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Förderung von Kindern aus sozial schwachen oder komplizierten Verhältnissen, denen eine optimale Schulbildung ermöglicht werden soll. Da wir den Ansatz dieser Schule sehr interessant fanden, hatten wir uns bereits in Deutschland entschlossen, sie zu besuchen und mit der Schulmannschaft Fußball zu spielen. Was uns besonders freute, war die Existenz eines Mädchenteams! Chris und Basti teilten sich auf: Während Chris die Jungs unter seine Fittiche nahm, kümmerte sich Basti um die Mädchentruppe. Mit ein paar einfachen Fangspielen brachten wir den Kreislauf und die Stimmung der 12-16jährigen schnell in Schwung. Der Fußballplatz liegt direkt neben der Schule und wir mussten ihn uns mit einer Herde Pferde teilen, die ab und zu durch unser Spielfeld liefen. Nach kurzer Trainingseinheit dann der Anpfiff. Besonders angetan waren wir von einigen der Mädchen, die mit Freude, Begeisterung und einer Menge Talent gespielt haben. Den Kindern machte es sichtlich Spaß und alle waren hochmotiviert. Die meiste Freude hatten alle Beteiligten nach dem Schlusspfiff, als sich die beiden unterlegenen Teams und die Trainer Chris und Basti in einer Reihe aufstellten: Die Gewinnerteams durften aus mittlerer Distanz auf die Hinterteile der Verlierer schießen- ein Riesenspaß.

Nach dem Spiel und der Verabschiedung von den Kindern übergaben wir dem Sportlehrer zwei Addidasbälle und ein paar Leibchen. Direktor Ato Teklu lud uns noch zum Tee ein und erläuterte uns Konzept und Philosophie der Schule; wirklich bemerkenswert wie gut alles organisiert und durchdacht ist. Mehr Informationen zur German Church School in Addis gibt es unter  www.germanchurchschool.de oder www.kk-addis.de.